Ideenaufnehmer und Ideengeber

Im Porträt: Tuncay Tözen, Feedback- und Beschwerdemanagement Medizinische Hochschule Hannover

Herr Tözen, wie sieht ein typi­scher Arbeits­tag bei Ihnen aus?
Wir arbei­ten zu dritt im Feed­back- und Beschwer­de­ma­nage­ment der MHH, gemein­sam mit mir die Kol­le­gin­nen Mari­on Wenig und Kat­ja Wil­len­brink. Mor­gens prü­fen wir zunächst gemein­sam, wel­che Anfra­gen wir über unse­re Zugangs­we­ge, die von der E‑Mail bis hin zu den Feed­back- und Beschwer­de­brief­käs­ten rei­chen, erhal­ten haben, und koor­di­nie­ren, wer wel­chen Fall über­nimmt. Unser Feed­back- und Beschwer­de­te­le­fon ist eben­falls zu defi­nier­ten Zei­ten tags­über durch einen von uns besetzt, außer­halb der per­sön­li­chen tele­fo­ni­schen Erreich­bar­keit ist ein Anruf­be­ant­wor­ter geschal­tet, so dass ein Mel­dungs­ein­gang sicher­ge­stellt ist. Ganz oben ste­hen dann das struk­tu­rier­te und prio­ri­sier­te Abar­bei­ten die­ser Fäl­le sowie auch die kor­rek­te Doku­men­ta­ti­on. Weil wir zu dritt sind, haben wir auch die Mög­lich­keit, prä­ven­tiv zu arbei­ten, wie ich das jetzt mal nen­ne. Zum Bei­spiel, indem wir regel­mä­ßi­ge Eva­lua­tio­nen umge­setz­ter Maß­nah­men vor­neh­men, Sta­tis­ti­ken und Trends für unser Report­ing erstel­len, ggf. Maß­nah­men ansto­ßen oder unse­re Pro­zes­se abstim­men und Stan­dard Ope­ra­ti­on Pro­ce­du­res (SOPs) prü­fen und opti­mie­ren. Die­se Beschrei­bung der Abläu­fe ein­schließ­lich Ergeb­nis­prü­fung und Doku­men­ta­ti­on ist die Grund­la­ge unse­rer Arbeit. Wie läuft die Bear­bei­tung einer Beschwer­de von der Auf­nah­me über die Rück­mel­dung an die Beschwer­de­füh­rer ab? Wie viel Zeit darf ver­ge­hen bis zur Rück­mel­dung bzw. Klä­rung? Wie wird die Beschwer­de bewer­tet, in wel­che Ergeb­nis­ka­te­go­rie fällt sie? Je nach Schwe­re­grad erge­ben sich unter­schied­lich defi­nier­te Abläu­fe. Folgt am Ende eine Rich­tig­stel­lung, ein Bedaue­rungs­schrei­ben oder ein Dan­kes­schrei­ben an die Beschwer­de­füh­re­rin oder den Beschwer­de­füh­rer? All das ist in unse­ren SOPs beschrie­ben, die wir regel­mä­ßig über­prü­fen. Hin­zu kommt, dass wir neben den Pati­en­ten­be­schwer­den auch das Mit­ar­bei­ter­be­schwer­de­ma­nage­ment betreu­en.

Wie und war­um sind Sie Beschwer­de­ma­na­ger gewor­den?
Tat­säch­lich bin ich kei­nen ganz gera­den Weg gegan­gen, auch wenn mei­ne heu­ti­ge Tätig­keit als Feed­back- und Beschwer­de­ma­na­ger ein Resul­tat mei­nes beruf­li­chen Wer­de­gangs ist. Nach dem Abitur habe eine Aus­bil­dung zum Gesund­heits- und Kran­ken­pfle­ger an der MHH gemacht und hier eini­ge Zeit in der Kran­ken­pfle­ge gear­bei­tet, anschlie­ßend in Göt­tin­gen eini­ge Semes­ter Medi­zin stu­diert und in der Uni­kli­nik Göt­tin­gen gear­bei­tet. 2001 bin ich an die MHH zurück­ge­kehrt und habe hier vie­le Jah­re in pfle­ge­ri­scher Tätig­keit gear­bei­tet, unter ande­rem zehn Jah­re in der Neu­ro­chir­ur­gie, zwei Jah­re Herz‑, Thorax‑, Trans­plan­ta­ti­ons- und Unfall­chir­ur­gie. Ins­ge­samt habe ich 13 unter­schied­li­che Fach­ge­bie­te ken­nen­ge­lernt und durch das Stu­di­um auch den ärzt­li­chen Part ken­nen­ge­lernt. Mir war immer wich­tig, dass ich als Gesund­heits- und Kran­ken­pfle­ger den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten umfäng­lich Rede und Ant­wort ste­hen kann, medi­zi­ni­sche Hin­ter­grün­de ken­ne und ein­schät­zen kann. Ich habe an diver­sen Qua­li­fi­zie­rungs­pro­gram­men teil­ge­nom­men, u.a. am Zukunfts­pro­gramm Pfle­ge der MHH (heu­te Pflege3), die Fach­wei­ter­bil­dung zur Lei­tung absol­viert und mich für eine Lei­tungs­funk­ti­on qua­li­fi­ziert. Sechs Jah­re war ich in Lei­tungs­funk­ti­on an der MHH pfle­ge­risch tätig. 2018 woll­te ich mich wei­ter­ent­wi­ckeln und bin in die Stabs­stel­le Betriebs­or­ga­ni­sa­ti­on, Inno­va­ti­on und Qua­li­täts­ma­nage­ment gewech­selt, als ein bera­ten­der und schu­len­der Part für ärzt­li­che und pfle­ge­ri­sche Anwen­der, für ein digi­ta­les Pro­dukt zur pati­en­ten­na­hen Doku­men­ta­ti­on. Dort habe ich mich, zusätz­lich zu mei­ner pfle­ge­ri­schen Tätig­keit, wei­ter ver­netzt und wei­te­re Fach­ge­bie­te und Abläu­fe ken­nen­ge­lernt. In der Stabs­stel­le hat­te ich auch die Mög­lich­keit, in die Tätig­keit des Feed­back- und Beschwer­de­ma­nage­ment Ein­blick zu neh­men und ein Stück weit hin­ein­zu­wach­sen. Anfang 2022 habe ich dann die Chan­ce genutzt, voll­stän­dig ins Feed­back- und Beschwer­de­ma­nage­ment zu wech­seln, das in der MHH inner­halb des Zen­tra­len Qua­li­täts­ma­nage­ment ange­sie­delt ist. Auch wenn ich noch nicht über die lang­jäh­ri­ge Erfah­rung mei­ner Kol­le­gin­nen Mari­on Wenig und Kat­ja Wil­len­brink ver­fü­ge, die das Beschwer­de­ma­nage­ment hier auf­ge­baut und pro­fes­sio­na­li­siert haben, bin ich mit mei­nem guten Gesamt­über­blick zum Bei­spiel über die kli­ni­schen Abläu­fe und mei­nem über die Jah­re ent­stan­de­nen Netz­werk hier mitt­ler­wei­le gut akkli­ma­ti­siert. Wir leben einen sehr guten, kol­le­gia­len Aus­tausch. Ich bin sehr dank­bar, dass ich heu­te in die­ser Rol­le bin.

Wel­chen Stel­len­wert hat sich das Feed­back- und Beschwer­de­ma­nage­ment bzw. wie hat es sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ver­än­dert?
Das Feed­back- und Beschwer­de­ma­nage­ment nimmt an der MHH einen sehr hohen Stel­len­wert ein und ist seit 2012 nach DIN ISO 9001 zer­ti­fi­ziert. Im Re-Zer­ti­fi­zie­rungs­au­dit 2021 haben wir vom TÜV u.a. ein Best Prac­ti­ce für unse­re „Matrix zur Schwe­re­grad­be­wer­tung von Beschwer­den“ erhal­ten.
Wir arbei­ten auf Augen­hö­he und sehr wert­schät­zend mit allen Schnitt­stel­len zusam­men. Dazu zäh­len jede Kli­nik, jede Ambu­lanz, eben­so das Risi­ko­ma­nage­ment oder die Stabs­stel­le Medi­zi­ni­sche Pro­zess- und Pati­en­ten­si­cher­heit, die beson­ders rele­vant ist, wenn mög­li­cher­wei­se Gefähr­dun­gen vor­lie­gen oder ent­ste­hen kön­nen. Mit unse­rem Pati­en­ten­ser­vice­cen­ter ste­hen wir eben­falls im engen Aus­tausch sowie natür­lich mit unse­ren Pati­en­ten­für­spre­chern, der Stabs­stel­le Kom­mu­ni­ka­ti­on, der Stab­stel­le Recht und unse­rer Gleich­stel­lung­be­auf­trag­ten, um nur eini­ge zu nen­nen. Wir haben in jedem die­ser Berei­che lei­ten­de Ansprech­per­so­nen, an die wir uns direkt wen­den kön­nen. Das erleich­tert die Arbeit sehr. Wir sehen in der engen Zusam­men­ar­beit mit die­sen betei­lig­ten Stel­len und Abtei­lun­gen, dass wir zuneh­mend als Ideen­auf­neh­mer und Ideen­ge­ber fun­gie­ren und regel­mä­ßig posi­ti­ve Ver­än­de­run­gen ansto­ßen kön­nen – ganz im Sin­ne eines pati­en­ten­ori­en­tier­ten, kon­ti­nu­ier­li­chen Ver­bes­se­rungs­pro­zes­ses. Außer­dem sind die Wege sehr kurz; wenn es nötig und sinn­voll ist, kön­nen wir kurz­fris­tig Ver­än­de­run­gen und Ver­bes­se­run­gen bewir­ken. Bei den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten sehen wir, dass die Hemm­schwel­le sich zu äußern gesun­ken ist, was wir sehr begrü­ßen. Denn wir machen immer wie­der klar, dass wir die­se Mel­dun­gen haben wol­len. Es ist der Blick von außen, der eine Chan­ce und Grund­la­ge für erfolg­rei­ches Ver­än­de­rungs­ma­nage­ment ist.

Wel­ches Lob und wel­che Beschwer­den hören Sie am häu­figs­ten?
Ein bun­ter Blu­men­strauß, könn­te man sagen. Wir haben in allen Belan­gen und in allen Fach­ge­bie­ten Mel­dun­gen, die auch alle wich­tig sind und von uns ernst genom­men wer­den. Das reicht von „Es gibt zu wenig Park­plät­ze“ über kom­ple­xe Fra­gen zu medi­zi­ni­schen Behand­lungs­ver­läu­fen bis hin zu auf­rich­ti­gen Dan­kes­wor­ten zur pfle­ge­ri­schen und ärzt­li­chen Leis­tung und Betreu­ung. Unse­re Arbeit im Feed­back- und Beschwer­de­ma­nage­ment beginnt immer mit einer Ermun­te­rung, mit einer Ani­ma­ti­on, die­se Mög­lich­keit auch zu nut­zen. Wir signa­li­sie­ren über alle ver­füg­ba­ren Kanä­le, sei­en es Web­site, Fly­er oder Aus­hän­ge: Es gibt uns! Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten kön­nen sich an uns wen­den, ohne irgend­et­was befürch­ten zu müs­sen. Das ist vor allem wich­tig, wenn ein Pati­ent noch auf der Sta­ti­on liegt und ein Ange­hö­ri­ger vor­stel­lig wird, der viel­leicht Beden­ken ange­sichts einer kri­ti­schen Mel­dung hat. Des­halb kom­mu­ni­zie­ren wir ganz sen­si­bel, dass wir ohne Wer­tung alles auf­neh­men; stets mit dem Ziel und im Bewusst­sein, eine Lösung schaf­fen zu wol­len. Was wir wäh­rend der Pan­de­mie oft gehört haben, war natür­lich das The­ma Erreich­bar­keit. Dann ging es dar­um, die Situa­ti­on zu erklä­ren, abzu­fe­dern und trans­pa­rent zu machen. Kurz: Wir muss­ten die Pati­en­ten abho­len und lösungs­ori­en­tiert han­deln. Das konn­te – und kann – auch bedeu­ten, ein­fach mal bei einem Kol­le­gen oder einer Kol­le­gin intern anzu­ru­fen und das erfor­der­li­che Feed­back ein­zu­ho­len und direkt an den Pati­en­ten wei­ter­zu­ge­ben. Sehr oft bekom­men wir auch Rück­mel­dun­gen und Lob zu ärzt­li­chen und pfle­ge­ri­schen Leis­tun­gen. Inter­es­sant ist: Sta­tis­tisch gese­hen mel­det sich ein Pati­ent, Ange­hö­ri­ger oder Besu­cher von 200, also nur ein sehr klei­ner Anteil. Unser Anspruch ist es ent­spre­chend, das, was rein­kommt, sehr ernst zu neh­men. Des­halb betrei­ben wir ein eng­ma­schi­ges Report­ing an unse­re Stab­stel­len­lei­tung, den Vor­stand Kran­ken­ver­sor­gung, wo wir regel­mä­ßig Ten­den­zen auf­zei­gen. Wenn sich in einem Bereich kri­ti­sche Mel­dun­gen häu­fen, müs­sen wir inter­ve­nie­ren und den Pro­zess opti­mie­ren. Unser Anlie­gen ist die Wie­der­her­stel­lung der Pati­en­ten­zu­frie­den­heit, aber auch zu schau­en, was kön­nen wir dar­aus an Lern­ef­fekt, an Ver­bes­se­rung und Ablauf­op­ti­mie­rung erzie­len. Das ist die gro­ße Chan­ce, die im Feed­back- und Beschwer­de­ma­nage­ment liegt.

Was schät­zen Sie am BBfG?
Die in den Arbeits­grup­pen und durch die Exper­ti­se von allen Mit­glie­dern ent­stan­de­ne Fach­lich­keit und die dar­aus her­vor­ge­hen­de Pro­fes­sio­na­li­sie­rung! Die Medi­zi­ni­sche Hoch­schu­le Han­no­ver ist bereits seit etwa zehn Jah­ren Mit­glied und war schon zu Grün­dungs­zei­ten im Netz­werk aktiv. Ich selbst war zum ers­ten Mal bei einer BBfG Tagung (in Stutt­gart im Juni 2022) dabei und war sehr beein­druckt von die­ser super orga­ni­sier­ten Ver­an­stal­tung. Es war beein­dru­ckend zu sehen, wie sich der BBfG in den Jah­ren ent­wi­ckelt hat und wie er mitt­ler­wei­le auf­ge­stellt ist. Das betrifft, um nur eini­ge Bei­spie­le zu nen­nen, unser neu­es Her­aus­ge­ber-Buch, den jähr­li­chen Bench­mark oder auch die Fort- und Wei­ter­bil­dun­gen. Hin­ter all dem steht die not­wen­di­ge und sinn­vol­le Ent­wick­lung von Stan­dards für das Feed­back- und Beschwer­de­ma­nage­ment. Natür­lich spielt auch der kol­le­gia­le Aus­tausch eine sehr gro­ße Rol­le, wir haben alle ähn­li­che Her­aus­for­de­run­gen; es ist ein gro­ßer Gewinn, dass wir uns bun­des­weit aus­tau­schen kön­nen, dass dar­aus zum Bei­spiel Koope­ra­tio­nen und Arbeits­ge­mein­schaf­ten ent­ste­hen. Ganz bemer­kens­wert ist auch der gute Draht zur Poli­tik, den der BBfG in sei­ner hohen fach­li­chen Kom­pe­tenz mitt­ler­wei­le ent­wi­ckelt hat. Wir wer­den wahr­ge­nom­men!

Was moti­viert Sie jeden Tag?
Ich per­sön­lich habe bewusst einen Beruf gewählt, in dem ich im per­sön­li­chen Aus­tausch mit Men­schen bin, das war und ist mir sehr wich­tig. Ich sehe mich als Ver­mitt­ler, als Lot­se, als jemand, der zuhört, der Ver­än­de­run­gen für Men­schen anstößt, die selbst nicht unbe­dingt oder der­zeit nicht dazu in der Lage sind. Der Aus­tausch mit mei­nen Kol­le­gin­nen moti­viert mich unge­mein, wir haben ein kol­le­gia­les Mit­ein­an­der, das macht ein­fach Spaß. Nicht zuletzt: Es wird ein­fach nie lang­wei­lig, es gibt täg­lich neue Her­aus­for­de­run­gen und neue Chan­cen.

 

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